Der Verfassungstag in Thailand ist eine Farce

Der Verfassungstag in Thailand ist eine Farce

Mehr als 90 Jahre nach der ersten thailändis­chen Ver­fas­sung wirft das Land sein heilig­stes Doku­ment immer noch alle paar Jahre weg wie alte Sock­en, aus denen es her­aus­gewach­sen ist.

Wie ist es dazu gekom­men? In den thailändis­chen Geschichts­büch­ern und unter den Gelehrten wird nach wie vor darüber gestrit­ten, inwieweit die Siame­sis­che Rev­o­lu­tion von 1932 einen grundle­gen­den Machtwech­sel darstellte, ob sich Thai­land — das dama­lige Siam — bere­its auf dem Weg zu ein­er ver­fas­sungsmäßi­gen Demokratie befand, als die Khana Rat­sadon (die Volkspartei) ihren ver­früht­en” unbluti­gen Staatsstre­ich durch­führte, und ob es bess­er gewe­sen wäre, wenn der Über­gang schrit­tweise erfol­gt wäre und vom dama­li­gen Monar­chen, König Rama VII.

Die Debat­te ist heute vielle­icht nicht mehr so unter­schiedlich wie damals. Diese Fra­gen mögen the­o­retisch erscheinen, aber die Umstände, die die Entste­hung des mod­er­nen Thai­lands bes­timmt haben, kön­nen auch unsere Zukun­ft bes­tim­men. Denn fast ein Jahrhun­dert später ist das Ver­sprechen der Rev­o­lu­tionäre von 1932, die Macht für das thailändis­che Volk zu erlan­gen, nur sel­ten, wenn über­haupt, in Erfül­lung gegan­gen. Die erste Rev­o­lu­tion mag unblutig ver­laufen sein, doch die darauf fol­gen­den Machtkämpfe haben das Land mit Kon­flik­ten und Blutvergießen geze­ich­net. Allzu oft sind die Opfer die ein­fachen Menschen.

Der diesjährige Ver­fas­sungstag sollte uns den lan­gen Weg vor Augen führen, den wir noch vor uns haben, um eine bessere Demokratie zu erre­ichen. Die zen­trale Frage, die damals wie heute im Mit­telpunkt der Debat­te ste­ht, lautet: Wie kann sich Thai­land zu ein­er besseren kon­sti­tu­tionellen Monar­chie entwick­eln, die wir immer für uns beansprucht haben?

Mehrere Merk­male von Ver­fas­sun­gen kön­nen hil­fre­ich sein, um darüber nachzudenken.

Die erste ist die Zeit­losigkeit. Ver­fas­sun­gen soll­ten Bestand haben. In ihrem grundle­gend­sten Sinne sind Ver­fas­sun­gen ein Rah­men, der die Beziehun­gen zwis­chen Volk und Staat definiert, die öffentliche Macht abgren­zt und dem Volk Rechte und Pflicht­en überträgt. Solche grundle­gen­den Struk­turen soll­ten bei jed­er Machtüber­gabe Bestand haben.

Daher soll­ten Ver­fas­sun­gen nicht von ein­er Gruppe auss­chließlich zum poli­tis­chen Vorteil dieser Gruppe aus­gear­beit­et wer­den. Doch die meis­ten Ver­fas­sun­gen, die Thai­land seit 1932 hat­te, mit der bemerkenswerten Aus­nahme der Volksver­fas­sung” von 1997, wur­den aus­gear­beit­et, um der jew­eils herrschen­den Frak­tion die Macht zu über­tra­gen. Das ist der Grund, warum unsere Ver­fas­sun­gen nicht zeit­los sind, son­dern alle paar Jahre geän­dert oder ver­wor­fen wer­den, je nach­dem, wie der poli­tis­che Wind weht.

In diesem Sinne ist das zweite Merk­mal die Iden­tität — die Iden­tität des Volkes. Die For­mulierung vom Volk für das Volk” hat einen guten Grund. Eine Ver­fas­sung muss die Ansicht­en und die Iden­tität des gesamten thailändis­chen Volkes wider­spiegeln, um bre­ite Akzep­tanz zu find­en. Natür­lich gibt es in jed­er Gesellschaft Mei­n­ungsver­schieden­heit­en über ihre Iden­tität, aber sie sollte auch gemein­same Grundw­erte haben. Das ist in Thai­land nicht anders, auch nicht bei Poli­tik­ern, die die Mei­n­ungsver­schieden­heit­en anheizen. Eines ist jedoch sich­er: Eine Ver­fas­sung, die von ein­er Frak­tion ohne öffentliche Kon­sul­ta­tion aus­gear­beit­et wurde, wird keine Legit­im­ität genießen, wenn sie von dem­sel­ben Volk abgelehnt wird, das sie regieren soll.

Die derzeit­ige Ver­fas­sung wurde jedoch, wie auch die let­zte, nach ein­er poli­tis­chen Pattsi­t­u­a­tion, einem Staatsstre­ich und ein­er Inter­imsver­fas­sung verkün­det; sie wurde von den Mil­itärs aus­gear­beit­et, die den Staatsstre­ich insze­niert hat­ten; und sie sieht ein ernan­ntes Unter­haus vor. Mit dieser Bes­tim­mung soll ins­beson­dere das Mit­spracherecht des alten kon­ser­v­a­tiv­en Estab­lish­ments bei der Ver­ab­schiedung von Geset­zen im Par­la­ment und vor allem bei der Wahl des Pre­mier­min­is­ters geschützt wer­den. Von den Mil­itärs für die Mil­itärs, in der Tat.

Schließlich zeigt die diesjährige Wahl, dass Ver­fas­sun­gen wichtig sind. Sie sind keine hochtra­ben­den Ide­ale, die auf einem Sock­el ste­hen; sie haben reale Auswirkun­gen auf die Poli­tik und die Men­schen. Das liegt daran, dass sie die Rechtsstaatlichkeit schützen sollen, aber auch daran, dass die Ver­fas­sun­gen in der thailändis­chen Real­ität Werkzeuge der Poli­tik sind.

Die Men­schen, die seit 2020 auf die Straße gegan­gen sind, haben dies erkan­nt. Die derzeit­ige Ver­fas­sung ist der Grund, warum Gen­er­al Prayut Chan-o-cha nach den Wahlen an der Macht blieb, warum die Move For­ward-Partei nicht gewann, obwohl sie die meis­ten Stim­men erhielt, und warum die derzeit­i­gen Mit­glieder des Kabi­netts wie die alte Garde aussehen.

Wenn die derzeit­ige Ver­fas­sung mit einem weit­eren Paar Sock­en ver­glichen wer­den kann, dann passt auch diese nicht beson­ders gut zu Thai­land. Wird die Ver­fas­sung geän­dert wer­den, wenn die Amt­szeit der nicht gewählten Sen­a­toren bald zu Ende geht? Oder wird sie gän­zlich ver­wor­fen und durch eine neue erset­zt — hof­fentlich eine, die der Zeit standhält?

Nach über 90 Jahren bin ich mir nicht sich­er, ob der Tag der Ver­fas­sung in Thai­land gefeiert wer­den kann. Aber wie Mar­tin Luther King, Jr. ein­mal sagte: Der Bogen des moralis­chen Uni­ver­sums ist lang, aber er neigt sich zur Gerechtigkeit. Ich würde gerne glauben, dass dies wahr ist und dass in den kom­menden Jahren mehr von dieser Moral in unser­er Ver­fas­sung ver­ankert wird.

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